10.02.2018
Schulleiter im Interview: Was wird aus den Gymnasien der Region?
Schulleiter Ulrich Walter – Bild: gymnasium-selm.de
Ganztag hat Konjunktur. Gesamtschulen bilden Nebenstandorte, Sekundarschulen werden fünfzügig. Ulrich Walter ist Leiter des Gymnasiums, Vorsitzender der Bezirksdirektorenkonferenz der Gymnasien im Kreis Unna und Sprecher der Gymnasialdirektoren. Im Gespräch mit Thomas Aschwer hat er sich zur Zukunft der Gymnasien in der Region und in Selm geäußert.
Wie hat sich die Zahl der Eingangsklassen in Selm entwickelt?
Wir haben im aktuellen Schuljahr wieder vier Eingangsklassen in der Stufe 5 einrichten können. Wegen des demografischen Wandels und dadurch bedingt rückläufigen Schülerzahlen an vielen Schulstandorten sind wir stolz auf diese Entwicklung.
Ist Selm dabei eher die Ausnahme oder lässt sich diese Tendenz auch an anderen Gymnasien beobachten?
Die Gymnasien bilden insgesamt einen starken Pfeiler der Schullandschaft im Kreis Unna. Gewisse Schwankungen in der Akzeptanz seitens der Eltern und Schüler hat es an unterschiedlichen Standorten immer mal wieder gegeben. Dafür gibt es nicht immer erkennbare Gründe. Von großer Bedeutung für die Attraktivität einer Schule sind sicher das Schulprogramm und die Verlässlichkeit in der täglichen Arbeit. Die „Tage der offenen Tür“ an unserer Schule zeigen immer wieder, dass Eltern neben der guten fachlichen Ausbildung, einer modernen und zeitgemäßen Ausstattung, außerunterrichtlichen und kulturellen Angeboten besonders die Förder- und Forderangebote der Schule wichtig sind. Dazu gehört auch die individuelle Beratung von Eltern und Schülern, kurzum das „Sich-Kümmern“ um jeden Einzelnen.
Bei vielen Gymnasien gab es viele Jahre den klaren Trend, Schülerinnen und Schüler vor allem auf das Studium vorzubereiten. Wie sehen das heute die Gymnasien im Kreis?
Selbstverständlich ist das auch in der heutigen Zeit die primäre Aufgabe dieser Schulform. Die Rückmeldungen, die wir von „Ehemaligen“ unserer Schule bekommen, zeigen, dass uns das auch sehr gut gelingt. Auch die jährlichen vergleichenden Abiturstatistiken des Schulministeriums weisen das immer wieder aus. Andererseits sind die Gymnasien aber auch dazu verpflichtet, studien- und berufswahlvorbereitende Maßnahmen in das Schulprogramm zu integrieren.
Welche Angebote zur Berufsorientierung gibt es am Selmer Gymnasium?
Das Städtische Gymnasium Selm ist bereits im Jahr 2011 für seine intensiven Bemühungen um die Berufsorientierung mit dem „Qualitätssiegel Schule und Beruf“ ausgezeichnet worden. Uns ist es wichtig, die Schülerinnen und Schüler angemessen frühzeitig an die Zeit nach der schulischen Ausbildung heranzuführen. Die Berufsorientierung beginnt in der Stufe 8 als Thema im Fachunterricht, wird ergänzt durch die Potenzialanalyse, durch die ein persönliches Fähigkeitsprofil erstellt werden soll und den Girls- und Boys-Day. Sie wird in der Stufe 9 fortgesetzt durch das Angebot einer Rechtskunde-AG, durch zweitägige Berufsfelderkundungen in Betrieben der näheren Umgebung und in der Oberstufe durch den Besuch von Hochschultagen sowie die Umsetzung des Programms „Uni Trainees“. Abgeschlossen wird die Berufsorientierung durch ein 14-tägiges Betriebspraktikum in der Qualifikationsphase.
Hat das Gymnasium Selm Partner in der lokalen Wirtschaft?
Die Schule hat seit vielen Jahren eine sehr gut funktionierende Kooperation mit der Volksbank Selm-Bork, die die berufsorientierenden Maßnahmen durch Sachverstand begleitet. Hieraus ist auch die stadtbekannte Schülergenossenschaft entstanden, die in den zurückliegenden Jahren nationale und internationale Preise gewonnen hat. Sehr stolz sind wir aber auch auf die im letzten Jahr geschlossenen Kooperationsverträge mit den Unternehmen Remondis und Saria, wodurch den Abiturientinnen und Abiturienten nicht nur die Möglichkeit eines Praktikums, sondern auch ein breites Spektrum an Ausbildungsberufen und dualen Studiengängen geboten werden kann. Die Kooperation mit den Bärenapotheken bietet ähnliche Möglichkeiten.
Die langjährige Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Innogy (vormals RWE) hat die Schule in die Lage versetzt, Tablets in den Unterricht der Oberstufe zu integrieren, um so sehr individuell mit neuen Medien arbeiten zu können. Bei den Schülern trifft diese Ausstattung auf sehr gute Resonanz.
Für viele Unternehmen sind Fremdsprachenkenntnisse sehr wichtig. Tragen die Gymnasien dieser Forderung Rechnung – wenn ja, wie?
Besonders die Schulform Gymnasium steht im Kreis Unna für ein breites Angebot an Sprachen. So auch unsere Schule, an der neben Englisch, Französisch, Spanisch und Latein zusätzliche Sprachenzertifizierungen möglich sind. Neben dem sogenannten Cambridge-Zertifikat (Englisch) und der Delf-Qualifikation (Französisch) ist die schulisch höchste sprachliche Auszeichnung Cerit-Lingua mit dem Abitur bei entsprechender Qualifikation an unserer Schule möglich. Letztere kann an Universitäten und in Betrieben zu einem persönlichen Alleinstellungsmerkmal werden.
In immer mehr Familien arbeiten. Väter und Mütter sind deshalb auf eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder angewiesen. Das können Gesamtschulen als Ganztagsschule gewährleisten. Wie sieht es an den Gymnasien der Region und damit auch hier in Selm aus?
In der Region gibt es durchaus Gymnasien, die in Ganztagsform geführt werden. Dazu gehört das Ernst-Barlach-Gymnasium in Unna. Die meisten Schulen werden im sogenannten offenen Ganztag geführt. So auch das Gymnasium Selm, an dem sich Eltern- und Lehrerschaft vor vielen Jahren für diese Form ausgesprochen haben. Während der Unterricht in den Jahrgängen 5 bis 9 hauptsächlich im Zeitraum von 8 bis 13.20 Uhr stattfindet, werden Übermittags- und Hausaufgabenbetreuung, der Förder- und Forderunterricht und Arbeitsgemeinschaften im Nachmittag angeboten. Damit bekommen die Eltern mehr Flexibilität, andererseits aber auch die Sicherheit eines funktionierenden Ganztages bis 15.45 Uhr, wenn der Aspekt der Betreuung oder fachlichen Unterstützung für sie von Bedeutung ist. Verlässlichkeit heißt dabei für uns auch, dass der Unterricht immer um 8 Uhr beginnt und frühestens nach der 6. Stunde endet.
Und wie sieht es am Selmer Gymnasium mit der Mittagsverpflegung aus?
Für die Versorgung der Kinder stehen viele haupt- und nebenamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Cafeteria und in der Mensa zur Verfügung. Dieses Engagement wird von einem starken und funktionierenden Förderverein getragen. In den großen Pausen hält die Cafeteria ein breites Angebot an Getränken, Backwaren, Obst und Süßigkeiten bereit, in der Mittagspause werden von Montag bis Donnerstag warme Speisen und Salate angeboten. Alles zu kleinen Preisen.
Ein wichtiges Argument bei der Schulwahl der Kinder war für Eltern, dass ihre Söhne und Töchter an Gesamtschulen ein Jahr mehr Zeit bis zum Abitur haben. Gehen die Gymnasien in der Region deshalb wieder zurück zum Abitur nach neun Jahren (G9)?
In Gesprächen mit den Schulleitungen vieler Gymnasien im Kreis Unna konnte ich feststellen, dass diese von ihrem Initiativrecht bei G8 zu verbleiben, keinen Gebrauch machen werden. Diese Tendenz zeichnet sich auch nach einer Umfrage des Schulministeriums im gesamten Land NRW ab. Am Städtischen Gymnasium Selm wird es nach einem Votum der zuständigen Mitwirkungsorgane der Schule eine Rückkehr zu G9 geben. Ich persönlich unterstütze diesen Weg ausdrücklich. Nach meinen Erfahrungen brauchen die Jugendlichen diese Zeit, um sich in der Schule zu bilden und reifer zu werden.
Inklusion und Integration von Flüchtlingen stellen Schulen vor neuen Herausforderungen. Welche Antworten hat das Selmer Gymnasium darauf?
Seit drei Jahren werden an unserer Schule auf der Grundlage eines entwickelten Konzeptes einige Kinder im „gemeinsamen Lernen“ unterrichtet. Es ist uns gelungen, einen Sonderpädagogen an der Schule zu beschäftigen, der mit diesen Kindern zeitlich begrenzt arbeitet. Den Großteil der Zeit werden diese Kinder im Klassenverband unterrichtet. Wir bemühen uns, ihnen gerecht zu werden.
Um die Integration von zugewanderten Kindern und Jugendlichen kümmert sich konzeptionell und organisatorisch ein an der Schule dafür bestellter Koordinator. Die Schülerinnen und Schüler nehmen altersbezogen, aber nicht durchgängig am Klassenunterricht teil und erhalten in der übrigen Zeit Unterricht im Fach Deutsch als Fremdsprache.
Ein Abitur an Gymnasien ist mehr wert als ein Abitur an einer Gesamtschule, behaupten Kritiker der Gesamtschulen. Wie sehen sie das?
Mir steht es nicht zu, die Arbeit an einer Gesamtschule zu beurteilen. Es gibt auch sicher, wie bei jeder anderen Schulform, standortbezogene Unterschiede. Begründet überzeugt bin ich aber davon, dass an den Gymnasien im Kreis sehr gute Arbeit geleistet wird.
Vervollständigen Sie bitte folgende Sätze: Wer die entsprechende Empfehlung für ein Gymnasium hat, sollte sich auch für diese Schulform entscheiden, weil…
… die Grundschulkolleginnen und -kollegen erfahrungsgemäß ein sicheres Urteil abgeben und das Kind dort seinen Weg machen wird. Sollten dennoch Fragen bestehen, stehen wir gerne für eine Beratung zur Verfügung.
Die Gymnasien der Region haben eine gesicherte Zukunft, weil…
… sie Tradition und Erneuerung ausgewogen miteinander verbinden, auf die Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen und Eltern eingehen und eine sehr gute fachliche und erzieherische Arbeit garantieren.
Das Selmer Gymnasium zeichnet aus, dass…
… es ein junges und engagiertes Kollegium hat, von verantwortungsvoll handelnden und engagierten Eltern profitiert, einen gewissenhaften Schulträger hinter sich weiß, gute Beziehungen zu Unternehmen, Institutionen und Vereinen pflegt und – das ist ganz wichtig – eine freundliche, offene und meist leistungsbereite Schülerschaft hat.