20.10.2024
Langfassung: Landtags-Vizepräsident ermutigte Schüler, die Demokratie aktiv mitzugestalten
Rainer Schmeltzer stellte sich am Städtischen Gymnasium Selm spannenden Fragen der Schülerinnen und Schüler. – Bild: Landtag NRW/Studio Siciliano
Am Mittwoch, den 18. September 2024, besuchte Rainer Schmeltzer (SPD), Vizepräsident des nordrhein-westfälischen Landtags, das Städtische Gymnasium Selm im Rahmen der Initiative „Präsidium macht Schule“. Rund 200 Schüler der Jahrgangsstufen 10, EF und Q2 nutzten die Gelegenheit, um mit dem Politiker über Landespolitik zu diskutieren und dabei einen Einblick in die Arbeit des Landtags zu gewinnen.
Die Schüler hatten sich im Vorfeld gut vorbereitet. Moderiert von Amelie Ambrosi und Finn Vorspohl, behandelte die Fragerunde verschiedene Themenblöcke, darunter Landtagsarbeit, Klimaschutz, Bildung, Polizei und Politik vor Ort. Besonders interessant war die Möglichkeit, auch persönliche Fragen an Schmeltzer zu stellen. Er zeigte sich erfreut über das rege Interesse und die kritischen Fragen der Jugendlichen. Themen, die speziell Selm betrafen, leitete er direkt an Bürgermeister Thomas Orlowski weiter, der ebenfalls an der Veranstaltung teilnahm.
Demokratieförderung und politische Bildung
In seiner Begrüßung betonte der stellvertretende Schulleiter Thomas Schneider die Bedeutung solcher Veranstaltungen für die politische Bildung und die Förderung der Demokratie. „Es ist wichtig, den Eindruck zu entkräften, dass junge Menschen das Gefühl haben, Politiker würden ihnen nicht zuhören oder dass gesellschaftliche Veränderungen unvermeidbar und unbeeindruckt von Bürgerbeteiligung sind“, sagte Schneider. Solche Begegnungen könnten helfen, das Vertrauen der Jugendlichen in demokratische Prozesse zu stärken und sie zur aktiven Teilnahme zu ermutigen.
Bürgermeister Thomas Orlowski richtete in seinem Grußwort einen direkten Appell an die Schüler: „Heute komme ich auf euch zu, aber ihr habt jederzeit die Möglichkeit, auch selbst aktiv zu werden. Ich stehe euch gerne als Ansprechpartner zur Verfügung, und ich bin bereit, Formate zu entwickeln, bei denen wir gemeinsam diskutieren können.“ Orlowski betonte, dass es wichtig sei, Frust zu vermeiden, damit Jugendliche nicht das Gefühl hätten, keine demokratische Wahl zu haben. „Ein vernünftiger Austausch ist notwendig, und alle Argumente müssen auf den Tisch, besonders wenn es um kommunalpolitische Entscheidungen geht“, fügte er hinzu.
Bild: Landtag NRW/Studio Siciliano
Einblick in die Landespolitik
Nach den Grußworten gab Rainer Schmeltzer eine Einführung in die demokratischen Prozesse der Landespolitik, unterstützt durch einen Kurzfilm. Er ermutigte die Schüler, Demokratie aktiv mitzugestalten und ihre Stimme in politischen Prozessen einzubringen. „Mischt euch ein und nutzt die Gremien, um eure Anliegen voranzubringen“, sagte er. Schmeltzer betonte, dass es in der aktuellen politischen Situation nicht nur darum gehe, Demokratie zu präsentieren, sondern auch darum, sie zu verteidigen. „Das Stichwort Thüringen zeigt, dass wir heute in einer Lage sind, in der wir die Demokratie verteidigen müssen. Jede Meinung wird ernst genommen, unabhängig davon, ob sie mir politisch passt oder nicht.“
Die erste Frage des Tages kam von Mara Disselkamp, die sich nach der Zufriedenheit Schmeltzers mit seiner Partei und den Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel erkundigte. Schmeltzer äußerte sich – wenig überraschend- zufrieden mit seiner SPD, da er als Abgeordneter aktiv an der Gestaltung der Programme mitwirken könne. In Bezug auf die Klimapolitik der Bundesregierung wies er augenzwinkernd darauf hin, dass er als Landtagsvizepräsident dem Neutralitätsgebot unterliege, was ihn aber nicht daran hinderte, die Wichtigkeit eines konstruktiven Regierungsstils zu betonen. Kompromissfähigkeit sei entscheidend, auch wenn die Koalitionspartner oft unterschiedliche Vorstellungen von den Wegen zum gemeinsamen Ziel des Klimaschutzes hätten. Gemeinsames Arbeiten führe zum Erflog „ohne alles nach draußen brüllen zu müssen“
Herausforderungen der politischen Neutralität
Während der Diskussion wurde deutlich, dass es Schmeltzer nicht immer leicht fällt, in seiner Rolle als Vizepräsident des Landtags neutral zu bleiben. Er erklärte, dass es heute schwieriger geworden sei, die Sitzungen zu leiten, da die Debattenkultur im Laufe seiner 24-jährigen politischen Karriere gelitten hätte. „Früher konnte man sich in der Sache streiten, ohne dass es persönlich wurde. Heute müssen wir deutlich mehr Ordnungsrufe aussprechen, oft gegen Mitglieder aus dem rechten Spektrum des Landtags“, sagte Schmeltzer.
Eine weitere Schülerfrage zielte auf das Thema Sicherheit ab. Schmeltzer stellte klar, dass die Sicherheitsmaßnahmen sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene verstärkt worden seien, warnte jedoch davor, das Gefühl der Unsicherheit überzubewerten. „Es gibt politische Kräfte, die versuchen, uns einzureden, dass wir in einem unsicheren Land leben. Das ist falsch. Diese Unsicherheit wird vor allem in sozialen Medien wie TikTok geschürt, und es ist wichtig, diese Informationen kritisch zu hinterfragen“, sagte er.
Bild: Landtag NRW/Studio Siciliano
Aufklärung oder AfD-Verbotsverfahren?
Auf die Frage, ob der Bundesrat ein Verbotsverfahren gegen die AfD einleiten sollte, antwortete Schmeltzer, dass ein solcher Schritt gut überlegt sein müsse. Ein Verbotsantrag dauere in der Regel drei bis fünf Jahre, und in dieser Zeit könne die Partei an Zustimmung gewinnen. Deshalb sei es entscheidend, dass ein Verbotsverfahren rechtlich einwandfrei vorbereitet werde, um erfolgreich zu sein. „Wir müssen den Menschen echte Nachrichten bieten, um den Fake News entgegenzuwirken“, erklärte er.
Politischer Werdegang und Engagement
Viele Schüler interessierten sich auch für Schmeltzers persönlichen politischen Werdegang. Er berichtete, dass er schon in jungen Jahren gelernt habe, dass man etwas bewegen könne, wenn man sich einbringe und den Mund aufmache. „Ich habe schnell erkannt, dass man durch Diskussionen und Engagement kleine Erfolge erzielen kann, und das hat mir Freude an der Politik bereitet“, sagte er. Im Laufe seiner Karriere habe er nie konkrete Karriereziele formuliert, außer dem Wunsch, Abgeordneter zu werden. „Mein Ziel war es immer, Politik aktiv mitzugestalten, und ich bin froh, dass ich das in meiner Rolle als Abgeordneter und Minister tun konnte“, sagte er. Einen Höhepunkt seiner politischen Laufbahn habe er im Ministeramt erlebt, wo er besonders junge Menschen für Ausbildungsberufe begeistern konnte“.
Er wird 2027 sein Direktmandat nicht verteidigen, da er nur davor warnen kann, dass alte Männer, die eigentlich mit dem Rollator in die Sitzungen geschoben werden müssten, das Land oder sogar die Welt regieren.“ Schmeltzer ermutigte die Schüler, sich auch aus diesem Grund aktiv einzubringen: „Es gibt keine dummen Fragen, wenn es um eure Interessen geht. Sprechenden Menschen kann geholfen werden.“
Auch die Frage nach einer möglichen Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre wurde intensiv dargelegt. Schmeltzer erklärte, dass es viele Abgeordnete im Landtag gebe, die diese Änderung befürworteten. „Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen sehe eine Senkung des Wahlalters vor. Einen Gesetzentwurf gibt es aber bisher nicht“.
Bild: Landtag NRW/Studio Siciliano
Abstimmungen und Fraktionsdisziplin
Zum Thema Abstimmungen im Landtag erklärte Schmeltzer, dass Abgeordnete zwar offiziell nur ihrem Gewissen verpflichtet seien, jedoch jedes Thema in den Fraktionen beraten wird und mehrheitlich ein Abstimmungsverhalten herbeigeführt wird. Die Meinungen der Arbeitskreise fließen in die Entscheidungsprozesse ein, und wer die Mehrheitsmeinung der Fraktion nicht unterstützen kann, enthalte sich häufig der Stimme oder verlässt kurz den Raum. „Geschlossenheit ist in der Politik wichtig, um der Öffentlichkeit eine klare Position der Partei zu vermitteln“, sagte er.
Ein Arbeitstag eines Politikers kann oft 12 bis 15 Stunden dauern. Carla Schwenke wollte daher wissen, ob Entscheidungen manchmal einfach abgenickt würden, wenn die Sitzungen bis spät in die Nacht andauern. „Nein, das kann ich so nicht bestätigen“, versicherte Rainer Schmeltzer. Allerdings verwies er auf den Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat, der oft bis tief in die Nacht tagt. „Hubertus Heil hat einmal vorgeschlagen, dass diese Ausschüsse nur bis 24 Uhr tagen sollten, weil sie teilweise erst um vier Uhr morgens enden“, erklärte Schmeltzer. „Wichtige Entscheidungen sollten von fitten und wachen Politikern getroffen werden.“
Bildung Digitalisierung
In nahezu jeder Plenarsitzungswoche wird das Thema Schule und Bildung auf die Tagesordnung gesetzt, so Schmeltzer. Seit dem Schulkonsens im Jahr 2011, der einmalig von allen Parteien unterstützt wurde, gibt es keine einheitliche Linie in der Bildungspolitik mehr. Die tiefen politischen Gräben zwischen den Parteien verhindern eine Einigung, weshalb in den kommenden Jahren keine größeren Reformen zu erwarten sind. Trotz klarer Lehrplanvorgaben sei es wichtig, dass politische Fragestellungen regelmäßig und breit diskutiert werden –innerhalb der Schülerschaft, im Unterricht und der Schulen selbst.
Abrisshäuser und Notunterkunft
Die Lokalpolitik wurde abschließend Thema und Thomas Orlowski stellte sich den kritischen Schülerfragen zum Thema „Abrisshäuser“ und „Notunterkunft in Bork“.
Grundsätzlich sei es richtig und gut, dass wir in Deutschland ein grundgesetzlich verankertes Recht auf Asyl haben. Jedoch sollten die Menschen, die ein Anspruch auf Asyl haben in ganz Europa untergebracht werden. Die Notunterkunft in Bork ist zum 1.7.24 geschlossen worden, berichtet Thomas Orlowski. Dort waren zuletzt bis zu 500 männliche Geflüchtete aus Drittstaaten untergebracht.
Nach der Schließung müsste die Stadt Selm aktuell über 200 Menschen aufnehmen. In Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Arnsberg entsteht nun eine Zentrale Unterkunftseinrichtung (ZUE) an der Industriestraße. In dieser ZUE werden u.a. Deutschkurse, Kinderbetreuung und Sportmöglichkeiten angeboten. Diese Lösung sei zunächst für die nächsten drei Jahre vorgesehen. Die untergebrachten Geflüchteten werden auf die Zuteilungsquote der Stadt angerechnet, sodass die kommunale Infrastruktur (z.B. Schulen, Kindergärten) nicht in Anspruch genommen werden müssen. „Wir haben eine Win-Win-Situation geschaffen: Das Land verfügt über eine weitere Unterkunft, und wir bekommen keine Flüchtlinge zugewiesen. Dies führe auch zu erheblichen finanziellen Einsparungen, da die Kommune z.B. weniger Sozialkosten und Personalkosten hat. So müssen wir 2,5 Millionen Euro weniger in den Haushalt einplanen“, betont Orlowski.
Sophie Volkmer erkundigte sich nach dem aktuellen Stand der Abrisshäuser und den Plänen für die Zukunft. Thomas Orlowski erläuterte, dass der bisherige Investor, der in Selm bereits erfolgreich zwei Projekte umgesetzt hatte, überraschend abgesprungen sei. "Der Investor hat bisher hervorragende Arbeit geleistet, und wir waren davon überzeugt, dass das Vorhaben reibungslos weitergeführt wird", so Orlowski. Nun arbeite man daran, die Häuser so schnell wie möglich abzureißen. Die Stadt befinde sich aktuell in Gesprächen mit potenziellen neuen Investoren, um das Projekt zu realisieren.
Bild: Landtag NRW/Studio Siciliano
Mit diesen Worten endete eine lebhafte und informative Diskussion, die den Schüler einen tiefen Einblick in die Arbeit der Politik und die Bedeutung demokratischer Beteiligung gab.
Die Fachschaft SoWi blieb zum Schluss nur noch sich bei Rainer Schmeltzer und Thomas Orlowski zu bedanken. Solche Begegnungen machen Politik für Schüler greifbarer, freut sich Florian Mersch, der die Veranstaltung mitkoordinieren durfte.
Lehrerzitate
„Veranstaltungen wie diese sind ein wertvoller Beitrag zur politischen Bildung unserer Schülerinnen und Schüler. Es ist eine seltene Gelegenheit, direkte Einblicke in die Landespolitik zu erhalten und gleichzeitig die Bedeutung der Demokratie hautnah zu erleben. Gerade in einer Zeit, in der politische Debatten oft polarisiert werden, brauchen junge Menschen Plattformen, um ihre Meinungen frei äußern zu können.“ – Thomas Schneider, stellvertretender Schulleiter
„Die Begeisterung und das Engagement unserer Schüler heute haben mich beeindruckt. Es ist entscheidend, dass sie erkennen, wie Demokratie in NRW und in Selm funktioniert und dass es Politiker gibt, die auf Augenhöhe mit ihnen sprechen und Probleme deutlich benennen. Solche Begegnungen fördern die politische Teilhabe und mache Politik greifbarer.“ – Florian Mersch, Politiklehrer
Schülerzitate
„Der Besuch des Landtagsvizepräsidenten war aufschlussreich, gerade in Hinblick auf die gewandte Redekunst der Politiker.“ – Finn Vorspohl, Schüler und Moderator der Veranstaltung
„Wir haben so viel über die Arbeit des Landtags gelernt und hatten außerdem noch die einmalige Chance, mit dem Landtagsvizepräsidenten persönlich zu sprechen.“ – Jonas Lang, Schüler und Vorstand der Schülergenossen Selm eSG
„Ich fand es toll, dass unsere Fragen ernst genommen wurden. Herr Schmeltzer hat vielen von uns das Gefühl vermittelt, dass unsere Meinungen zählen.“ – Amelie Ambrosi, Schülerin der Q2 und Moderatorin der Veranstaltung
„Die Fragen der Schülerinnen und Schüler wurden ernstgenommen und es fand ein reger Austausch über Politik und Bildung statt. Andere Vertreter währen ebenfalls spannend gewesen. Trotzdem hätten einige Fragen klarer beantwortet werden können, da wir ja nicht naiv sind.“ – Amelie Seidel, Schülerin der Q2
„Besonders die Diskussion über den Klimawandel fand ich spannend. Es war gut zu hören, dass Politiker wie Herr Schmeltzer auch bereit sind, über ihre eigenen Parteiinteressen hinaus zu denken und Kompromisse zu schließen, selbst wenn das nicht immer leicht ist.“ – Mara Disselkamp, Schülerin der EF
„Definitiv eine interessante Fragerunde. Herr Schmeltzer gab uns einen Einblick in den Alltag eines Politikers und stand Rede und Antwort zu unseren Fragen.“ – Jannis Hartmann, Schüler der Q2
„Ein interessanter Einblick in die Arbeit eines Vize-Landtagspräsidenten.“ – Finian Karge, Schüler der Q2
„Der Besuch des Landtagsvizepräsidenten war beeindruckend, vor allem durch seine Eloquenz und die lockere Art, mit der er auf unsere Fragen einging. Man hatte das Gefühl, dass er unsere Anliegen – etwa in der Bildungs- und Klimapolitik – ernst nimmt, auch wenn konkrete Antworten trotz Nachhakens ausblieben.“ – Aaron Greuel, Q2
„Besonders interessant fand ich den direkten Kontakt mit einem Politiker, wodurch sein Einfluss auf unsere Region klar wurde.“ – Franziska Hörstrup, Q2
„Es war spannend, Herrn Schmeltzer so direkt Fragen stellen zu können. Man liest viel über Politik, aber es ist eine ganz andere Erfahrung, mit einem erfahrenen Politiker zu sprechen, der einen direkten Einfluss auf unsere Region hat.“ – Lucien Vega & Lukas Gudert, Schüler der EF
„Grundsätzlich war es gut, dass wir mal einem Politiker offen Fragen stellen durften, jedoch wurden die Fragen von Herrn Schmeltzer nicht vollständig beantwortet.“ – Henrik Hans und Constantin Emich, Schüler der Q2